Gießen: Nach dem gestern veröffentlichten Beschluss des hessischen Verwaltungsgerichtshofs zum Gießener Verkehrsversuch stellt Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher fest:

„Es lässt sich nicht beschönigen, dass dieses höchstrichterliche Aus für den Verkehrsversuch auf unterschiedlichen Ebenen ein Rückschlag für unsere Stadt ist. Ich bedaure dabei ganz besonders, dass es uns nach den zum Teil zugespitzten Debatten nun nicht mehr möglich sein wird, die neue Verkehrsführung in der Praxis und damit aus unmittelbarer Erfahrung sachlich beurteilen zu können.

Dass die Spielräume für einen Verkehrsversuch dieser Größenordnung nach der derzeitigen Straßenverkehrsordnung vom VGH derart eng ausgelegt wurden, lässt verkehrspolitische Umsteuerung unter den gegenwärtigen Gesetzen nur in sehr kleinen Schritten zu. Darunter leidet nicht nur die Stadt Gießen, sondern auch die vielen anderen Städte, die den innerstädtischen Verkehr neu regeln wollen und die nun dieses Urteil genau analysieren werden.

Größere verkehrspolitische Schritte auf lokaler Ebene werden angesichts unserer weiter wachsenden Stadt und des Klimawandels unabdingbar bleiben. Daher begrüße ich die Anstrengungen auf Bundesebene für eine Reform des Straßenverkehrsrechts, die genau den Zielen Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung mehr Spielraum zur Veränderung einräumen wird. Ich bin davon überzeugt, dass wir in zehn Jahren auf eine deutlich veränderte Verkehrsinfrastruktur in unserer Stadt blicken werden, weil ein einfaches Weiter-so nicht dauerhaft tragfähig sein wird.

Jetzt wird es aber zuerst darum gehen, dass der Versuch abgebrochen und die Verkehrsführung – wie im Vorfeld für den Fall einer Niederlage vor dem VGH angekündigt – zügig, aber verantwortungsvoll zurückgebaut wird. Dafür sind die Planungen sofort angelaufen. Das ist wichtig und richtig, braucht aber seine Zeit und fordert von allen auch Geduld.

Was wir jetzt auch brauchen, sind inhaltliche Diskussionen über die verkehrliche Zukunft des Anlagenrings. Dazu müssen wir ein gesellschaftliches Klima schaffen, das bestehende Grabenkämpfe überwindet.

Deshalb müssen wir zurückkehren zu einem Debattenstil, der respektvoll ist und unterschiedliche Haltungen zulässt. Dabei wünsche ich mir: Wie wir zukünftig bei großen politischen Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für viele Bürgerinnen und Bürger die notwendigen Debatten ohne übertriebene Zuspitzungen und Skandalisierung führen können, sollte nun tatsächlich die gesamte Stadtgesellschaft beschäftigen. Die Demokratie in unserer Stadt lebt vom sachlichen, konstruktiven Streit um die besten Ideen. Diese eine Idee ist nun gescheitert. Umso wichtiger wird es sein, neue Ideen miteinander vernünftig zu diskutieren. Das gilt auch für die Zukunft des Radverkehrs in Gießen, denn unbestreitbar müssen wir auch nach der Rückabwicklung des Verkehrsversuchs Lösungen finden, um Radfahrende besser zu schützen.

Das ärgerliche Scheitern vor dem VGH nötigt uns aber auch ab, kritisch auf die einzelnen Prozessschritte zu blicken – vom Bürgerantrag und der Planung des Versuchs bis zu seiner Umsetzung. Ich werde verwaltungsintern aufarbeiten lassen, was im Einzelnen dazu beigetragen hat, dass dem Versuch die rechtliche Grundlage abgesprochen wurde, was davon grundsätzlicher Natur ist und was in unserem Gestaltungsbereich gelegen hat. Entsprechend werde ich in den kommenden Wochen mit den Beteiligten und Verantwortlichen eine intensive Auswertung und eine transparente Kostenanalyse vornehmen.“

Quelle: giessen.de


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