Gießen: Dass es für Radfahrende – besonders für Ungeübte – derzeit gefährlich ist, auf dem Anlagenring der Innenstadt zu fahren, dürfte jeder, der die Lage kennt, unterschreiben. Auf dem vierspurigen Ring gab es bislang keine gesonderten und geschützten Bereiche für Radler/innen. Das Verkehrsaufkommen ist hoch: bis zu 25.000 Autos sind an Werktagen dort unterwegs. Zusätzlich bis zu 500 LKW.
Schon heute lässt sich anhand der Unfallzahlen nachweisen (nach Unfallatlas Statistische Ämter des Bundes und der Länder): Radfahrende sind an einem Viertel aller Unfälle mit Verletzten auf dem Anlagenring beteiligt. Dabei werden sie oft schwer verletzt. An über einem Drittel aller Unfälle mit Schwerverletzten waren Radler beteiligt. Und das, obwohl nur ein Bruchteil des Verkehrs aus Radfahrenden besteht.
Das soll sich durch die Ausweisung von Fahrradstraßen auf dem Ring versuchsweise ändern.
Ob dies so auch geschehen darf, wird nun der Verwaltungsgerichtshof entscheiden. Denn das Verwaltungsgericht Gießen hatte einer Klage von Anwohnern im Eilverfahren stattgegeben und festgestellt: Der Gießener Verkehrsversuch sei rechtswidrig. Begründung: Die Stadt habe die Gefahrenlage für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs nicht dargelegt. Dieser Nachweis ist aber Voraussetzung dafür, dass der Verkehrsversuch straßenverkehrsrechtlich stattfinden kann.
Juristisch gesehen ist es unerheblich, ob sich Bürger/innen oder Stadtverordnete mehrheitlich eine andere Verkehrsführung wünschen. Der Nachweis der Gefahrensituation ist Voraussetzung für Änderungen. Die konkrete, derzeit vorbereitete Verkehrsführung hatte der Beschluss dagegen nicht im Fokus.
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Bürgermeister und Verkehrsdezernent Alexander Wright möchte das so nicht stehenlassen: „Wir werden Beschwerde beim VGH einlegen“, kündigte er an. Dabei solle ausführlich begründet werden, weshalb es einen Handlungsbedarf bei der Verkehrsführung gebe. „Wir werden hier die gesammelten Daten nochmals ausführlich präsentieren und nachweisen, dass es für den Schutz der Radfahrenden notwendig ist, zu handeln. Ich bin zuversichtlich, dass das VGH nachvollziehen kann, dass sich hier zum Wohle der Sicherheit der Radler etwas tun muss.“
Das hatte auch die städtische Straßenverkehrsbehörde in ihrer Anordnung des Verkehrsversuchs ausführlich begründet: Verbesserungsbedarf hatte bereits der städtische Radverkehrsplan aus 2010 schon angemahnt. Änderungen wollte auch die Mehrheit der Stadtverordneten, die – aufgrund eines Bürgerantrages – der Ausrichtung eines Verkehrsversuchs zustimmten, um die Gefahrenlage für Radfahrende zu entschärfen.
„Die Verkehrssituation für den Radverkehr am Anlagenring ist problematisch“, hatte die städtische Straßenverkehrsbehörde formuliert und in einer entsprechenden Anordnung deshalb gefordert: „Es sind bauliche/oder verkehrstechnische Veränderungen vorzunehmen, um die Sicherheit des Radverkehrs an den Stand der Technik anzupassen.“ Ob dies nun geschehen kann, darüber wird in Kassel entschieden.
Solange darüber nicht entschieden sei, würden die Vorarbeiten auf dem Anlagenring weiterlaufen, so Wright. „Eine Verzögerung des Umbaus möchten wir nicht hinnehmen. Wir werden den zweiten Bauabschnitt wie geplant abschließen. Denn ein Zurückdrehen während der Umbauphase ist zum einen schwer möglich, zum anderen sehen wir die Chance, dass wir vor dem VGH Erfolg haben. Und dann stellt sich schon die Frage: Wie wollen wir weiterbauen, wenn wir jetzt eine Pause einlegen? Derzeit haben wir ungeregelte Knoten, die wieder eine Signalisierung benötigen und Markierung, die fehlt.
Wenn wir jetzt eine Pause machen, besteht die Gefahr, dass die Firmen, die wir derzeit einsetzen, auf anderen Baustellen eingesetzt werden und wir einen Wartezeitraum von bis zu einem Jahr haben, wo der Anlagenring nur zum Teil fertiggestellt ist. Diese Hängepartie wollen wir verhindern.“
Gleichzeitig kündigte der Bürgermeister an, dass auch für einen anderen Ausgang des Gerichtsverfahrens Vorsorge getroffen werde: „Für einen möglichen Rückbau der Verkehrsführung zum Status ante werden wir parallel planen.“ Aber: So oder so müsse für die Sicherheit der Radler auf dem Ring etwas getan werden.
Für die Zukunft sieht Wright eher positive Signale: „Ich begrüße die angedachte Reform der Straßenverkehrsordnung. Dort wird die Rolle der kommunalen Selbstverwaltung bei diesen Entscheidungen gestärkt und auch städteplanerische sowie Klimaschutzaspekte dürfen dann in die Abwägung miteinbezogen werden.“
Mit einem Appell richtete sich Wright abschließend an die Bürger/innen Gießens: „Ich möchte Sie herzlich bitten: Suchen Sie gerne den Austausch mit uns, damit wir einvernehmliche Lösungen finden. Ich glaube, in Zusammenarbeit wird mehr erreicht als vor Gericht.“
Quelle: giessen.de